Computerspiele in der Kinder- und Jugendarbeit 
 
 
Wie gefährlich sind Gewaltdarstellungen?

Computerspiele erfreuen sich bei Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. Insbesondere Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren sind oftmals begeisterte Computerspieler. Dabei spielen die Kinder und Jugendlichen weniger das, was von den Erwachsenen als "wertvoll" eingestuft wird. Gerade Gewalt- und Ballerspiele scheinen so richtig Spaß zu machen. Die Erwachsenen betrachten diese Leidenschaft mit Skepsis. Werden die Kinder gewalttätig, wenn sie solche Spiele spielen? Können sie noch zwischen Spiel und Realität unterscheiden? Sollte man diese Spiele verbieten? Warum sind sie nicht schon verboten? 

Vorab: Medial vermittelte Gewalt ist nicht die Ursache für Gewalt. Die Ursachen liegen im "wirklichen Leben". 

Kinder mit einer stabilen sozialen Bezügen (Familie, Lehrer/innen, andere Erwachsene, Freunde) werden weder durch Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen noch durch Computerspiele mit aggressivem Inhalt gewalttätig. 

Medial vermittelte Gewalt kann jedoch agressives Verhalten fördern und verstärken, wenn die Kinder und Jugendlichen selbst Gewalt erfahren haben (z.B. Mißhandlung) oder wenn sich niemand um sie kümmert, die Kinder und Jugendlichen sozial isoliert sind. 

Ein Kind, das den halben Tag allein vor dem Fernseher oder vor dem Computer sitzt und sich aggressiven Inhalten aussetzt, ist in der Tat gefährdet. Das Problem liegt jedoch hauptsächlich in der Isolation. Hier muß auch interveniert werden (von Eltern, von Pädagog/innen). Durch das Verbot von Filmen und Spielen mit aggressiven Inhalten sind die sozialen Probleme nicht aus der Welt geschafft. Hier wird "das Pferd von hinten aufgezäunt". 

Sehr viel sinnvoller ist es zu gucken, welche Spiele der Kinder und Jugendlichen gern spielen und was sie davon haben. Spiele haben etwas mit der Lebenswelt der Spielenden zu tun! Wenn ein Kind ein Spiel faszinierend findet, so sagt uns das etwas über die Lebenssituation dieses Kindes, bzw. dieses Jugendlichen. Computerspiele sprechen nur an, was so oder in ähnlicher Form im Leben der Spielenden tatsächlich vorhanden ist. Nur deshalb finden sich die Spielenden mit ihren Gefühlen, Erwartungen, Handlungsmustern und Lebenshintergründen in den Spielen wieder. Diese Spiele zu verbieten, heisst sich einen Zugang zur Lebenswelt des Kindes zu verbauen. Aus pädagogischer Sicht sinnvoller ist es, mit den Kindern ihre Spiele zu spielen, sich über diese Spiele zu unterhalten und so zu erfahren, worin der Reiz dieser Spiele für die einzelnen Kinder liegt. 

Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr haben in ihrer Analyse von Computerspielen sieben Grundmuster herausgearbeitet, die ihr Pendant im "wirklichen" Leben haben. 

 

Sieben Grundmuster der Computerspiele

1. Erledigen

Wie im wirklichen Leben geht es auch in vielen Computerspielen darum, eine bedrohliche Menge von Aufgaben durch aktives Handeln zum Verschwinden zu bringen. Erledigt man die Aufgabe nicht, wird man von ihr erledigt. In diesen Spielen spiegelt sich der Arbeitszwang unserer modernen Gesellschaft: Akten, Fälle, Bestellungen, Aufträge, Wünsche sind zu erledigen. Im Beruf und teilweise auch im Privatleben wird von uns ein Handeln gefordert, dass darauf abzielt, der sich ständig neu aufbauenden Pflichten und Aufträge durch "Abarbeiten" wieder ledig zu werden.

Computerspiele können auch hier eine Kompensation darstellen. Schüler/innen die den Erledigungsanforderungen von Schule und Elternhaus (Hausaufgaben, Mithilfe im Haushalt etc.) nicht ausreichend genügen können, können sich die Selbstbestätigung erspielen, die Ihnen im realen Leben verwehrt bleibt. Oder sie holen sich genau die Erfolgserlebnisse, die sie auch im wirklichen Leben erfahren.

2. Sammeln und Bereichern

Fast in jedem Computerspiel kann man etwas ergattern: Punkte, Extra-Leben, Sonderausrüstungen, herausragende Fähigkeiten, Waffen, Schutzschilde, Tarnkappen, Geld, Gold. Die Spieler/innen müssen diese Dinge sammeln, um mehr Macht, mehr Handlungsmöglichkeiten zu bekommen. Nur wer alles Erforderliche beisammen hat, kommt weiter. Dies entspricht der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen: Klassenarbeiten schreiben, Zertifikate einheimsen, Ausbildungsplatz bekommen.

3. Prüfung und Bewährung

Das Leben der Menschen insbesondere in den Industriestaaten ist durchzogen von vielfältigen Prüfungen und Bewährungssituationen, deren Bestehen Voraussetzung für das persönliche Weiterkommen und die Weiterentwicklung sind. Die Bewährungssituationen haben Einfluss auf das Lebensschicksal. 

Komplexe Adventuregames spiegeln dieses Muster der Prüfung und Bewährung. Bei einigen führt das Nichtbestehen zum Bildschirmtod, andere erlauben es so lange zu experimentieren, bis der gewünschte Erfolg eintritt. Der spielerische Umgang mit den Prüfungssituationen übt zum einen die gesellschaftliche Regel "Du musst dich prüfen lassen, bevor dir ein Weiterkommen erlaubt wird" ein, zum anderen entlastet das Spiel vom realen Druck.

4. Verbreitung

Bei vielen Simulationen geht es darum, das eigene Einflußgebiet zu vergrößern. (Civilization, Siedler, Command and Conquer). Im wirklichen Leben geht es bei den meisten Menschen nur darum, Macht und Einfluß in der Clique, der Schulklasse oder in "ihren" Firmen und Verwaltungen zu erweitern. Gespielt wird die Erweiterung des eigenen Territoriums in spektakuläreren Dimensionen: Da geht es eher um die Ausweitung und den Niedergang ganzer Völker.

5. Ordnung

Insbesondere bei abstrakt wirkenden Spielen geht es vielfach darum, geforderte Ordnungsvorstellungen zu verwirklichen (Tetris, Kartenlegen). Hinter der Faszination der Ordnung, dem Drang des Spielers/ der Spielerin "Ordnung zu schaffen", steht sich das Bedürfnis, sich eine komplexe Wirklichkeit verfügbar und durchschaubar zu machen. Ordnung vermittelt ein Gefühl von Sicherheit.

6. Ziellauf

Es geht darum, das vorgegebene Ziel schnell zu erreichen - auf alle Fälle schneller als die Konkurrenten. Im wirklichen Leben geht es um Schulnoten und Ausbildungsplätze. Im Spiel spiegelt sich das gleiche Muster in Autorennen u.ä. Bevor es Computerspiele gab, durchlebten die Leute die Situation des Ziellaufs im wieder im Brettspiel "Mensch-ärgere-Dich-nicht". 

7. Kampf/ Selbstbehauptung

In allen Spielen die Gewalt, Agression und Krieg zum Thema haben, muß der Spieler kämpfen, muß sich in einer feindlichen Umwelt selbst behaupten, um überleben zu können. Ein Spieler, der nicht oder schlecht kämpft, der (noch) nicht gelernt hat, sich zu behaupten, stirbt den Bildschirmtod. Im Gegensatz zum realen Leben, in dem Jugendliche, die sich nicht zu behaupten wissen, tatsächlich "eingedost" werden, d.h. in ihren Lebenschancen und -wünschen weitestgehend und dauerhaft beschränkt werden, ist der "Bildschirmtod" jedoch nur temporär. Er ist nicht mehr als das Symbol für eine Niederlage. Er zeigt den Spielenden: Wenn du so handelst, hast Du damit keinen Erfolg. Der Bildschirmtod impliziert die Aufforderung etwas Neues, eine andere Handlungsweise auszuprobieren. Ein beharrlicher Spieler/Spielerin wird in diesem Szenario immer gewinnen. Dies ist der Unterschied zum realen Leben, in der ein paar verlorene "Kämpfe" mit den Lehrer oder den Mitschülern tatsächlich dazu führen, dass man "verloren" hat, "draußen" ist. Ein Kind/ Jugendlicher kann bestenfalls die Schule wechseln und von vorn anfangen. Aber es gibt keine Möglichkeit, Getanes ungeschehen zu machen und es noch einmal anders zu versuchen. Das Computerspiel ermöglicht nicht nur neue, bislang ungewohnte Verhaltensweisen zu erproben, ein Computerspiel kann dazu auffordern zu experimentieren und neue Handlungsmöglichkeiten zu erforschen. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit zur Kompensation erlebter Frustrationen. Im Spiel wird jeder beharrliche Spieler/ Spielerin letztlich seinen Weg finden. 
 
 

Nutzen der Spiele für die Kinder und Jugendlichen

Kompensation

Oftmals liegt der Reiz eines Spiels einfach darin, eine bereits vorhandene Frustration zu kompensieren. Das Spiel ermöglicht den Kindern und Jugendlichen letzlich immer, die gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Dies kann für vorangegangene Frustrationen "entschädigen", wieder innerlich aufbauen.

Probehandeln

Das Computerspiel stellt für vielfältige Konfliktstrukturen (Macht/ Ohnmacht, Freund/ Feind, erfolglos/ erfolgreich) symbolische Austragungsmöglichkeiten bereit. Insofern kann man Computerspiele sowohl als Machtmodelle als auch als Konfliklösungsmodelle ansehen.

Mit den Regeln der eigenen Lebenswelt vertraut werden

In den Computerspielen spiegeln sich die Regeln und die Anforderungen unserer Gesellschaft an das Individuum. Diese Regeln mögen kritikwürdig sein, dies ändert aber nichts an ihrer Gültigkeit. Computerspiele sind eine Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, sich mit der Fülle und Komplexiät unserer Gesellschaft gefahrlos auseinanderzusetzen und sich den Anforderungen spielerisch, d.h. angstfrei zu stellen. 

Indem Kinder und Jugendliche sich dem Videospiel zuwenden, machen sie im Grunde nichts anderes als Kinder früherer Generationen, die über das Lesen von Märchen und Mythen an Werten, Normen, Verhaltensmustern und Handlungsorientierungen teilhaben wollten. Zumindest unbewußt erleben die Spielenden das Computerspiel als ihr Leben. Es steht ihnen als Märchen, Mythos oder Sage gegenüber. Und indem sie das Spiel entfalten, entfalten sie sich selbst im Spiel. 

 

Literatur:
  • Fehr, Wolfgang und Fritz, Jürgen: Handbuch Medien: Computerspiele. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997
  • Fehr, Wolfgang und Fritz, Jürgen: Videospiele in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. In: Computerspiele. Bunte Welt im grauen Alltag. Hrsg: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1993, S. 48-66
  • Mettler-v. Meibom, Barbara: Spiel-Unterhaltung-Sucht. Die Frage nach den Grenzüberschreitungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 19-20/97, 2. Mai 1997

  • Peterman, Franz: Auswirkungen von Medien auf die Entstehung von Gewalt im Kindes- und Jugendalter. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 19-20/97, 2. Mai 1997