Teil 2: .. was passiert in Zukunft ? - Lösen kommerzielle Varianten von Internetcafés die Medienangebote in Jugendeinrichtungen ab? - Vier Varianten von Internetcafés -
Teil
1: Zeitgemäße Jugendarbeit für die Informationsgesellschaft
oder rausgeschmissenes Geld?
Seit
1998 hat sich Neukölln als erste Kommune in Europa auf den Weg gemacht,
alle kommunalen Kinder- und Jugendeinrichtungen flächendeckend mit
Multimediarechnern und Internetzugängen auszustatten. Auch Einrichtungen
freier Träger zogen im Bezirk schnell nach. Nun stehen inNeuköllner
Kinder- Jugendfreizeiteinrichtungen an über 25 Standorten um die 200
Internet und Spielerrechner Kindern und Jugendlichen zur Verfügung.
Internetcafés, besser Multimediacafés sind also ein fester
Bestandteil der Kinder- und Jugendarbeit in Neukölln geworden.
Die
einzelnen Einrichtungen mit ihren Multimediacafés und Internet-Infopoints
finden sich unterhttp://www.neukoelln-jugend.de
Recht
früh haben sich damit die Verantwortlichen in Neukölln dagegen
ausgesprochen,Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen
zur „medienfreien Schutzzone“ zu erklären.
Die
Gründe sind vielfältig:
1.
Bedürfnisse von Kindern-
und Jugendlichen aufgreifen!
Wir
wissen, dass Medien aus der Lebenswelt der Kinder- und Jugendlichen weder
weg zu denken noch weg zu diskutieren sind. Eine repräsentative Freizeitstudie
, in der über 1000 Neuköllner Jugendliche zwischen 12 und 18
befragt wurden,hatte 1998 das enorme
Interessean Computerangeboten in
der Freizeit zutage gebracht. Die Besucherbefragung der Neuköllner
Jugendeinrichtungen 2001 hat bestätigt, dass das Multimediaangebot
in den Jugendclubs mit Abstand das Highlight in den Einrichtungen ist.
Steigender PC-Besitz in den Familien und günstige Internetangebote
kommerzieller Anbieter ändern weniger als erwartet an der hohen Nachfrage
nach Multimediaangeboten in den Einrichtungen. Allerdings steigen Erwartungen
der Jugendlichen an die pädagogische und technische Qualität.
Und dies wiederum erfordert notwendigerweise auch personellen Mitteleinsatz.
2.
Chancengleichheit fördern! – Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten
aufzeigen!
In
Neukölln, insbesondere in der Altstadt gibt es viele kinderreiche
Familien, aber auch Familien die von Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe
betroffen sind. Diese Familien haben oft ein zu knappes Haushaltsbudget,
um sich einen PC- und Internetzugang zu leisten. In der Informationsgesellschaft
ist die Fähigkeit, mit Computer- und Internet umzugehen so wichtig,
wie lesen und schreiben. In den Neuköllner Multimediacafés
der Jugendförderung können Jugendliche selbständig und spielerisch
und bei Bedarf auch mit gezielter Unterstützung durch pädagogische
Fachkräfte technische, gestalterische und organisatorischen Medienkompetenz
erwerben.
Alle
Jugendlichen können sich über das Internet preisgünstig
(eventuell auch mittels ehrenamtlicher Arbeit kostenfrei)Jugendinformationen
aus den Freizeit-Bereichen Sport, Spiel und Kultur erschließen.Gleichzeitig
bietet das Internet eine Fülle von Beratungsangeboten zu den Themenbereichen
Gesundheit und Soziales, Job und Arbeit sowie jugendgerechte Chats. Auf
diese Angebote weisen wir die Jugendlichen hin. Internet und eine kommunikative
Café-Atmosphäre in den Jugendclubs fördern die Kontaktaufnahme
zwischen Jugendlichen beim gemeinsamen Umgang mit dem Computer oder durch
die Teilnahme an Chat-Kanälen, Jugendforen und E-Mail.Lernsoftware
und Internet unterstützen bei schulischen Problemen. Diese neuen Medien
sind von großem Nutzen für eigenständige Bildungsinteressen
jenseits des schulischen Bereichs (Programmierung, Netzwerktechnik, Sachthemen
aller Art).
Die
Mitarbeiter/innen sorgen für Fairness beim Zugang zu den Geräten.
Nicht der Stärkste oder Ältere regiert, Nutzungslisten steuern
den Zugang und im zweifelsfalle greifen die Mitarbeiter/innen ein. Anfängliche
Wartezeiten beim Zugang zu den Rechnern wurden inzwischen durch die Vielzahl
der nun zur Verfügung stehenden Rechner (6 bis 12 Rechner pro Einrichtung)
weitgehend entschärft.
Um
Chancengleichheitund Medienkompetenz
ernsthaft zu fördern, darf man Kinder- und Jugendliche sich nicht
völlig selbst überlassen. Honorarkräfte und festangestellte
Mitarbeiter/innen geben in vielen Jugendeinrichtungen Anregungen, neben
Chat, E-Mail und Spielen auch andere Nutzungsmöglichkeiten des Computers
kennen zu lernen.
Medienprojekte,
Wettbewerbe, Internetrallyes, Berlinweite Webspiele und Themenchats, Computerführerscheine,
Musik-, Foto-, Grafik- und Internetkurse, Spielturniere, technische Tipps
und attraktive Lern- und Edutainmentsoftware fördern die Kenntnisse
über die Anwendungsbreite des Medium Computer erheblich. Dies ist
insbesondere für Hauptschüler/innen wichtig, da diese
häufig nur eine geringe Zahl an Anwendungsmöglichkeiten(Spiele,
Chat, E-Mail) kennen.
Ein
deutliches Defizit, das es nach wie vor anzugleichen gilt,zeigt
sich in den Daten des letzten Jahres hinsichtlich der Mediennutzung von
Hauptschüler/innen und Gymnasiasten/innen. Ein Beispiel: 49 % der
Hauptschüler/innen gegenüber 74 % der Gymnasiasten/innen nutzen
im Jahre 2001 das Internet. (http://www.mpfs.de
)
Die
jährlichen repräsentativen Studien des „Medienpädagogischen
Forschungsverband Südwest“ über das Nutzungsverhalten von Kindern
und Jugendlichen im Bereich der Neuen Medien (JIM und KIM – Jugend/Kinder
und Multimedia) zeigen darüber hinaus, dassim
Jahre 2001 Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren zu 59% das Internet nutzten,
Jungen bereits zu 67 %. Der Rückstand der Mädchen ist
also immer noch nicht ausgeglichen. In Neukölln gibt es daher in allen
Jugendeinrichtungen den Auftrag, Mädchen ganz besonders aufmerksam
zu unterstützen. In der Donaustrasse 88a wurde vor kurzem das Mädchenzentrum
Szenenwechsel (http://www.szenenwechsel.net
)
zum
Medienkompetenzzentrum für den ganzen Jugendbereich des Bezirks ernannt.
Der überbezirkliche Themen-Schwerpunkt liegt in der Mädchenarbeit.
Im Szenenwechselwurde in den letzten
4 Jahren ein großer Erfahrungsschatz gebildet, wie Mädchen beim
Erwerb von Medienkompetenz unterstützt werden können.
3.
Jugendschutz
Internet
und Computerspiele verbergen eine Reihe von Gefahren für Kinder- und
Jugendliche. Diesist leider nie
ganz auszuschließen. Aber ähnlich, wie unsere mobile Gesellschaft
den Gefahren des Straßenverkehrs nicht durch ein generelles Fahrverbot
begegnet, sondern diese durch Regeln
und Verkehrserziehung so gering wie möglich hält, versuchen unsere
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Jugendeinrichtungen die Gefährdungen
der Informationsgesellschaft gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen in
den Griff zu bekommen. Dazu stellen sie mit den Jugendlichen Regeln für
die Computer- und Internetnutzung auf. Bei uns ist der Aufruf von rassistischen,
sexistischen, gewaltverherrlichenden Seiten nicht erlaubt. Wenn Kinder
versehentlich auf solche unangenehmen Seiten geraten, greifen unsere Mitarbeiter/innen
ein. Wenn Kinder und Jugendliche unangenehmes entdecken, sind sie sich
nicht sich selbst überlassen. Unsere Mitarbeiter achten auf Suchtverhalten
(übermäßige Nutzungsdauer) und auf die physische Verfassung
der Kinder. Sie können im Ernstfall gegensteuern. Am sinnvollsten
ist es, wenn monotonen Anwendungsarten, wie allzu einfachen Spielen, aktiv
die Vielfalt von Multimedia gestützten Aktivitäten oder unsere
klassischen Freizeitangebote (Musik, Spiel, Sport, Kultur) entgegengesetzt
werden Kinder und Jugendliche werden von uns zur produktiven Medienarbeit
angeleitet. Dies geschieht zum Beispiel durch Computerprojekte wie dem
Herstellen eigener Internetseiten, Webzeitungen, Computermusic, Videoclips
und die Organisation von Wettbewerben.
Im
Rahmen der monatlichen Qualitätszirkel„Multimedia“und
der Arbeitsgemeinschaft Medien in Neukölln verbessern wir kontinuierlich
unserer medienpädagogische Arbeit und tauschen uns über Probleme
und neue Möglichkeiten der Medientechnik und Arbeit aus. Wer in das
Thema tiefer einsteigen möchte, dem empfehlen wir unsere Linkliste
im Internet mit medienpädagogischen Materialien:
http://www.neukoelln-jugend.de/projekt/medpaed.html
4.
Integration der Cafés in die klassische offene Jugendarbeit
Ein
überragender Pluspunkt ist, dass unsere Multimediaangebote in Einrichtungen
der klassischen Jugendarbeit eingebettet sind. Problematischen Anwendungsverhalten
(Suchttendenzen u.ä.)kann so
durch eine breite Palette an attraktiven Sport, Spiel, Kultur und Kreativangeboten
entgegengewirkt werden.
5. Selbstorganisation und Peer-Leraning:Wichtig , aber nicht immer ganz einfach!
In
unseren Multimediacafés werden Kinder und Jugendliche dazu angehalten,
ihre Angelegenheiten selbst zu organisieren und sich gegenseitig zu helfen.
Wir organisieren Projekte, die das Lenen von Gleichaltrigen fördern.
Dies geschieht insbesondere durch Methoden und Projekte,die
Team und Gruppenarbeit voraussetzen. Dies passiert schlicht und einfach
durch die Ermutigung, sich bei Problemen an andere Jugendliche und Kinder
zu wenden, die über die entsprechende Sachkenntnis verfügen.
Nach einer gewissen Anschubzeit klappt das in der Regel automatisch ohne
weitere pädagogische Intervention.
Es
ist der Jugendförderung Neukölln ein großes Anliegen, möglichst
vielen jungen Menschen erste Arbeitserfahrungen zu bieten. Gleichzeitig
profitieren wir vom hohen Medienwissen junger Leute und ihrer Lebendigkeit.Die
Berliner Haushaltssituation und schwierige verwaltungsrechtliche Rahmenbedingungen
erschweren dies, trotzdem ist es uns bisher gelungen, im Multimediabereich
viele jugendliche Helfer/innen auf Honorarbasis anzustellen, die den technischen
und organisatorischen Teildes Multimediabetriebs
abwickeln. Im Laufe der letzten vier Jahre haben sich so einige Talente
herauskristallisiert, die nicht nur technisch und organisatorisch sondern
auch pädagogisch das Gruppengeschehen leiten können.
6. Lan-Partys und Ballerspiele? Bad Games – Good Games?
Ältere
Jugendliche können durch ehrenamtliche Aktivitäten die Öffnungszeiten
des Multimediabereichs erheblich erweitern bis hin zur selbstorganisierten
Öffnung des Bereichs an Wochenenden oder der Durchführung von
sogenannten Lan-Partys. Dies sind Partys bei denen auf möglichst vielen
Rechnern Netzwerk-Spiele miteinander und gegeneinander gespielt werden.
Lan-Partys sind zu 95% ein Interessensfeld von jungen Männern, Mädchen
sind die Ausnahme. In machen Einrichtungen lassen wir dieses Stück
Jugendkultur, besser gesagt. Jungen-Kultur zu, wenn die positiven Effekte
überwiegen.So wiegen die Motivation
sich Kenntnisse über Hardware, Software und Netzwerktechnik anzueignen,
die Bereitschaft zu ehrenamtlichen Engagement und der Erwerb von Organisations
Know-How den von männlichen Jugendlichen bevorzugten Einsatz von etwas
bedenklichen Ballerspielen auf. Mit solchen selbstorganisierten Events
gehen in der Regel soziale Diskussionen und Absprachen zwischen Jugendlichen
und Pädagogen/innen einher. Wenn wir überzeugt sind, dass bei
den „LANern“die sportliche Leidenschaft
überwiegt und Ballern eher Nebensache ist (Wer ist der schnellste?,
Wer kennt alle Kombinationsmöglichkeiten, Tricks, Wege und Ecken des
Spiels am besten?), lassen wir - oberflächlich betrachtet - etwas
martialisch wirkende Spiele zu besonderen Anlässen zu. Am besten ist,
wenn sich Pädagogen/innen oder Eltern mal selbst vor die Spiele setzen
und nicht nur zuschauen. In diesem Fall wird man schnell entdecken, worin
der Reiz und die Lernchancen bestimmter Spiele liegt.
Sinnvoll
ist es, wenn Eltern und Betreuer/innen attraktive-Spiele kennen, die reizvoll
sind, aber keine bedenkliche Botschaft beinhalten. Ein aktuelles Beispiel:
Das im Auftrag des Schweizer Gesundheitsministeriums programmierte Ballerspiel
„Smoke Attack“. Zu finden ist es unter der Seite http://www.rauchen-schadet.ch.
Empfehlendwerte
Spiele und Lernsoftware für die Jüngern finden sich unter http://www.feibel.com
.Spielbeurteilungen finden sich
auf der Datenbank „Search&Play“ der Bundeszentrale für politische
Bildung unter dem Link: http://www.bpb.de/snp/
Es gibt inzwischen genügend preiswerte kommerzielle Internet- und Spielecafés, wozu braucht es da noch Medienangebote in Jugendeinrichtungen?
Das
Modellprojekt „Digitale Kinder- und Jugendstadt Neukölln“ – „Multimedia
in allen Kinder- und Jugendeinrichtungen“ läuft nun seit 4 Jahren.
In Internetjahren (mit sieben multipliziert), ist das eine enorme Zeitspanne.
Inzwischen haben viele Haushalte Computer und Internetanschluss. Für
diejenigen, die kein Internet zuhause haben, stehen inzwischen zahlreiche
kommerzielle und teilweise sogar preiswerte Internetcafés und Spielecafés
zur Verfügung. Sollten Jugendclubs sich also in Zukunft nicht mit
anderen Dingen befassen und das Feld Medienerziehung den Technikprofis
und der Selbstorganisation des Marktes überlassen?
In
einer abgewandelten Variante lässt das Motto „surfen, zocken, chatten“
aus pädagogischer Sicht nichts Gutes für Kinder- und Jugendliche
vermuten. Eine Studie von Stiftung Warentest in Berlin (Juli 2000) zeigte
auf, dass in der Hälfte der kommerziellen Cafés 16jährige
Tester ohne Probleme an Alkohol, indizierte gewalttätige Spiele, die
für unter 18jährige tabu sein sollten und jugendgefährdende
Internetseiten herankamen. Der Jugendschutz wurde kaum beachtet. Häufig
zeichnen sich diese digitalen Schmuddelkneipen durch eine düstere
Atmosphäre aus. Mädchen sind die Ausnahme. Betituliert werden
diese Läden auch als „Game-Zone“ oder noch richtiger als „Boy-Zone“.Gelegentlich
sieht man bereits vor der Türe eine Gruppe Jungen und keine weibliche
Person würde es wagen, hier einen Fuß über die Schwelle
zu setzen. Gespielt wird bis der Joystick qualmt. Es handelt sich sicher
um die digitale Version der Spielhalle ... oder gar „Spielehölle.“
Die
dritte Variante der digitalen Spelunke ist das „Erotik-Center für
Arme“. Hier erfreuen sich junge Männer an Bildern nackter Mädchen
á la „letzte Reihe ganz oben...im Bahnhofskiosk“. Dieser Typus scheint
allerdings eine geringere Rolle zu spielen, denn Schmuddelkram wird lieber
zu Hause mit Kumpels unter viel Gejohle oder alleine und „schön anonym“
im Internet betrachtet.
Manche
digitalen Spelunken vereinigen auch alle drei Aspekte. Es wäre sicher
angebracht hier ähnliche Auflagen anzustreben und Kontrollen durchzuführen
wie in klassischen Spielhallen.
Fazit:
Variante
1 bis 4 der kommerziellen Internet- und Spielcafés zeigen unserer
Meinung, dass Kinder und Jugendliche doch ganz gut in unserenKinder-
Jugendfreizeitzentren aufgehoben sind. Hier wird mit medienpädagogischen
Wissen und dem gesamten Repertoire der offenen Jugendarbeit Medienkompetenz
vermittelt.
Internetcafés
müssen Geld verdienen und haben dadurch zwangsläufig andere Ziele
als Jugendeinrichtungen. Bei einigen Varianten insbesondere der „Digitalen
Spelunke“ sollte überlegt werden, das Spielhallengesetz anzuwenden.
Hingegen halten wir die Variante 1 -Riesen-Café
mit Internet-Terminals - für relativ unbedenklich. Allerdings fördert
diese Art von Treffpunkt nicht unbedingt die Medienkompetenz. Ein Tipp:Eltern
sollten sich in ihrem Kiez mal umschauen, was in den Computer- und Internet-Treffs
so los ist.
Knackpunkt
der Multimediacafés in Neuköllner Kinder- und Jugendeinrichtungen
--- Nicht immer funktioniert die Technik.Es
gibt manchmal Wartezeiten und unserer Einrichtungen schließen in
der Regel zwischen 21 und 22 Uhr. Die Sicherung der Anzahl und der Qualität
unserer Multimediatreffpunkte in den Kinder- und Jugendeinrichtungen hat
leider auch mit Personalressourcen und Personalentwicklung zu tun. Dies
alles benötigt Profis und wäre – jedenfalls nicht allein – durch
Selbstorganisation undfreiwillige
Helfer zu bewerkstelligen.
Lischke,
Jugendförderung Neukoelln
E-Mail:
Team@neukoelln-jugend.de